Einsame 4000er (27.10.2021)

Written by senfterberg (Coni Häusler)

Map
Ascents Fluchtkogel (3,497m) 27.10.2021
Gross Fiescherhorn (4,049m) 27.10.2021
Jungfrau (4,158m) 27.10.2021
Weißseespitze (3,518m) 27.10.2021

Kein Bergsteiger, kein Schifahrer. Einsame Natur pur. Davon ist im Hochsommer keine Rede, wenn Gipfel in Scharen besucht werden, Hütten zum Bersten voll sind, und es an Kletterstellen zu Staus kommt. Doch Ende Oktober, trotz guter Verhältnisse und perfekten Wetterberichts, fanden wir genau das vor. Absolute Bergeinsamkeit. Keine Menschenseele unterwegs, weder am Gepatsch noch an den Berner Hochgipfeln.

Gipfelsieg am Fiescherhorn, mit Finsteraarhorn im Hintergrund
Gipfelsieg am Fiescherhorn, mit Finsteraarhorn im Hintergrund

Nach einer angenehmen Flugreise nach München und Zugfahrt nach Tirol ging es los, für Lars und mich. Mit Andy fuhren wir ins Gepatsch, sozusagen zum Aufwärmen (=Akklimatisieren).

Die Weissseespitze, mit Gepatschferner
Die Weissseespitze, mit Gepatschferner
Akklimatisation am Fluchtkogel, 3.500m, hier von der Gletscherstrasse gesehen
Akklimatisation am Fluchtkogel, 3.500m, hier von der Gletscherstrasse gesehen

Über die ca. 50 Grad steile Nörderflanke ging es auf die Weissseespitze, die wir erst gegen 16:00 erreichten. Die Tage im Herbst sind schon kurz, es war gut, dass der Abstieg nicht viel Zeit in Anspruch nahm. Mit Ski fuhren wir bis zum Ende des Gepatscheises in Richtung Rauhe Kopf Hütte, welche wir nach einem ca. 20 minütigen Fussmarsch erreichten.

Vorbereitung auf die Abfahrt, Gipfelkalotte auf 3.500m
Vorbereitung auf die Abfahrt, Gipfelkalotte auf 3.500m

Der stets offene Winterraum war recht gemütlich. Andy heizte unaufhörlich ein, die Nacht hindurch, sodass wir das Frühstück in einer warmen Stube geniessen konnten. Der Plan des Tages war die Besteigung des Fluchtkogels, allerdings waren wir uns noch nicht über die Route einig. Wir querten die oberste Zunge des Gepatschferners hin zu einem Fernerkessel. Weder Andy noch ich kannten diesen, es war also Neuland. Problemlos gelangten wir in das oberste Becken und hin zur Fluchtkogel Nordwestwand, eine ehemals grossartige Eisroute. Der obere Teil der Route sah aber felsig und heikel aus, wir entschieden uns also, über den Nordgrat aufzusteigen.

Andy am Fluchtkogel Nordgrat
Andy am Fluchtkogel Nordgrat

Aufgrund des Gletscherrückganges wurde ein kurzer Klettersteig zum Gepatschjoch hin angelegt. Der Grat selbst ist wirklich schön. Aussichtsreich, und nirgends besonders schwierig. Ein paar Kraxelpartien waren dabei, mehr nicht. Am frühen Nachmittag sassen wir bei fast sommerlichen Temperaturen am Gipfel des Fluchtkogels, 3.500m. Das grösste Eismassiv der Ostalpen lag unter uns. Ein Prachttag im Hochgebirge.

Gipfelrast bei Sommertemperaturen, Fluchtkogel, 3.500m
Gipfelrast bei Sommertemperaturen, Fluchtkogel, 3.500m
Das Brandenburger Haus, Weisskugel, 3.739m, im Hintergrund
Das Brandenburger Haus, Weisskugel, 3.739m, im Hintergrund

Die Abfahrverhältnisse waren das einzige, an dem es etwas auszusetzen gab. Zwar liessen sich in der steilen Flanke unter dem Fluchtkogel ein paar Schwünge in den Schnee ziehen, der Rest war aber Bruchharsch der üblen Sorte. Nichts desto trotz, besser als zu Fuss, und vor allem schneller, war es allemal. Wir zogen am Brandenburger Haus vorbei, cruisten zwischen Spaltenzonen hindurch, und nach einem doch nervig anstrengenden Gegenanstieg zum Nördergrat ging es über diesen zurück zum Weisseeferner.

Hoch über dem Gepatschsee
Hoch über dem Gepatschsee

Die Abfahrt zum Parkplatz über eine steinhart zerfurchte Pistenraupenspur war eine Katastrophe und setzte meinem desolaten Knie doch einigermassen zu. Also passten zwei Arbeitstage für mich ganz gut ins Konzept. Doch am Mittwoch ging es wieder los. Unverhofft wurde unser Team (diesmal ohne Andy) um eine echte Maschine gestärkt. Roland wusste Dienstag am Gardasee noch nichts von seinem Glück. Gemeinsam sassen wir aber am Mittwoch um drei Uhr in der Früh in seinem Auto am Weg nach Grindelwald. Für die Kleinigkeit von 100 CHF für eine einfache (!) Fahrt ging es ab Interlaken Ost hinauf zum Jungfraujoch. Naja, brutal teuer ist es schon, aber die historische Dimension und das Ambiente dort oben ist echt ein Hammer.

Am Weg zum Mönchsjoch, die mächtige Jungfrau im Hintergrund
Am Weg zum Mönchsjoch, die mächtige Jungfrau im Hintergrund

Normal wimmelt es nur so vor Bergsteigern und solchen, die es gerne wären. Diesmal waren wir aber die einzigen Protagonisten des Alpinismus. Ansonsten gab es nur normale Menschen, wenn auch aus allen Gegenden der Welt. Wir starteten bei makellosem, also echt perfektem Wetter in Richtung Mönchsjochhütte, wo wir im Winterraum einiges an Ausrüstung deponierten.

Der Walchergrat, vom Fenster der Hütte aus fotographiert
Der Walchergrat, vom Fenster der Hütte aus fotographiert

Danach fuhren wir 200 hm über das Ewigschneefeld ab, ehe wir schiebend zu einer kurzen, vereisten Querung kamen, die auf die Hänge unter dem Walcherhorn führte. Über diese ging es dann mit Schi weiter bis auf eine Höhe von 3.600m. In Anbetracht der Tatsache, dass wir bereits seit drei Uhr morgens unterwegs waren, war der Akku von Lars und mir schon etwas aufgebraucht. Es war also gut, mit Roland ein Spur-monster mit zu haben. Denn spuren mussten wir von hier an. Ziemlich anstrengend sogar. Über den herrlichen Walchergrat, unseres Erachtens schöner als der wesentlich berühmtere Biancograt, ging es zunächst recht einfach, dann doch ziemlich aufsteilend und teils etwas eisig in Richtung Fiescherhorn. Lars ging die letzten ca. 100 hm voraus. Hier bewegte man sich in 50 Grad steilem Gelände, am oberen Ende der über 1000 Meter auf das Ischmeer abstürzenden, im Jahre 1930 von Himalaya Legende Welzenbach erstbestiegenen, Nordwand. Volle Konzentration war also angesagt.

Klettern am Walchergrat
Klettern am Walchergrat

Um 17:00 war es dann so weit, der 4.049m hohe Gipfel war erklommen. „T-shirt Wetter“ lud zu einer langen Gipfelrast ein. Doch wir mussten ja noch zurück auf die Mönchsjochhütte. Abermals mit voller Konzentration kletterten wir wieder die Steilflanke ab. Der Rest war reiner Genuss. Abendlicht, Sonnenuntergangsstimmung, und eine Stirnlampenwanderung über das Ewigschneefeld zurück zur Hütte.

Kitschig am Fiescherhorn
Kitschig am Fiescherhorn
Nicht gerade covid gemäss: Essen aus einem Topf
Nicht gerade covid gemäss: Essen aus einem Topf

Es dauerte etwas, bis der Ofen in Schwung kam, daher wurde es doch recht spät. Eine nur mässig gute Nacht war zwar nicht die beste Voraussetzung für eine neue anstrengende Tour. Doch mit dem Wetter und der Traumgegend war unsere Motivation ganz top. Die Jungfrau, auf der sowohl Lars als auch ich schon waren, jedoch jeweils bei miesem Wetter, war das Ziel. Die Jungfrau, ein Paradeberg der Alpen. Als riesiges Eis- und Felskoloss erhebt sich der Berg mit einem unglaublichen Höhenunterschied von über 3.500 Höhenmetern über Interlaken.

Im Felsteil des Normalweges
Im Felsteil des Normalweges

Die Besteigung ist nicht besonders schwierig, aber ausgesetzt und die Jungfrau fordert fast jedes Jahr ihre Opfer. Das musste auch Lars miterleben, als er bei seiner Besteigung vor einigen Jahren hautnah Zeuge eines schrecklichen Unfalls war. Wir starteten unsere Tour um genau acht Uhr morgens von der Hütte, hatten also gut acht Stunden Zeit bis zur letzten Bahn vom Joch. Etwas Stress war also vorprogrammiert. Zuerst ging es mit Schi in den Kessel unter das Jungfraujoch. Zu Beginn der Tour gab es noch Spuren. Spätestens beim felsigen Steilaufschwung zum Firnkamm, der den Normalweg darstellt, mussten wir aber selbst die Spurarbeit leisten. Wieder machte Roland die Hauptarbeit. Wir kamen recht gut voran. Der Steilaufschwung zum Rottalsattel war eisig und wir waren froh, zwei Eisgeräte zu haben.

Kurze Eiskletterei hinauf zum Rottalsattel
Kurze Eiskletterei hinauf zum Rottalsattel

Der fast 300 Meter hohe Gipfelhang ist sehr steil, dort waren die Verhältnisse aber gut, und so gelangten wir ohne grössere Schwierigkeiten kurz nach 12 auf den Gipfel. Die Aussicht von diesem ist unbeschreiblich. Natürlich sieht man alle Westalpengipfel, die Rang und Namen haben, wie Matterhorn, Monte Rosa oder Mont Blanc. Besonders eindrucksvoll ist aber der Tiefblick mehrere tausend Höhenmeter hinunter nach Wegen, nach Interlaken und in die Tiefebene des Voralpenlandes.

Lars wenige Meter westlich unterhalb des Gipfels
Lars wenige Meter westlich unterhalb des Gipfels
Grün und weiss. Blick von 4.158 m hinab auf Wengen
Grün und weiss. Blick von 4.158 m hinab auf Wengen

Da der Wind jedoch recht kräftig bliess, war an eine gemütliche Gipfelrast nicht zu denken. Ausserdem befanden wir uns ja noch in einem Kampf gegen die Zeit. Gut drei Stunden hatten wir noch bis zur letzten Bahn. Aber auch beim Abstieg ging alles wie geschmiert.

Am Rottalsattel
Am Rottalsattel

Also konnten wir uns sogar noch einen kleinen Umweg leisten. Anstatt über den Aufstiegsweg zurück zum Jungfraujoch zu gehen, querten wir den Gletscherkessel östlich des Jungfraugipfels. Wir zogen unsere Schispuren durch eine gewaltige Gletscherszenerie mit gigantischen Seracs und Spalten, teilweise 20 Meter breit und sicher fünfzig Meter tief. Nach dieser kleinen Extratour stiegen wir zurück hinauf zum Jungfraujoch, und ein absolutes Touren-Highlight der letzten Jahre war zu Ende.

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